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Respighis „La fiamma“ – Ein Experiment gegen Experimente? - Deutsche Oper Berlin

Respighis „La fiamma“ – Ein Experiment gegen Experimente?

Ein Essay von Christoph Flamm

Die außerordentliche Beliebtheit mancher seiner Orchesterwerke hat den Blick darauf verstellt, dass Ottorino Respighi während seiner ganzen Schaffenszeit Werke für Musiktheater geschrieben hat, und sogar mit einigem Erfolg. Dass seine Generation der um 1880 Geborenen („la generazione dell’ottanta“) die Oper gemieden und stattdessen eine Rehabilitierung der Instrumentalmusik in Italien versucht habe, ist ebenso richtig wie falsch – es ist eben eine der üblichen Vereinfachungen, mit denen die Musikhistoriker versuchen, das unüberblickbare Ganze besser zu verstehen. Ja, Respighi hat tatsächlich mit reichlich Kammermusik, einigen Konzerten und vor allem mit etlichen sinfonischen Werken wie seiner weltberühmten „Römischen Trilogie“ („Le fontane di Roma“, „Pini di Roma“ und „Feste romane“) das Jahrzehnte währende Vakuum der italienischen Instrumentalmusik gefüllt, unter Jubel gefüllt, nicht zuletzt dank solcher Advokaten wie Arturo Toscanini am Dirigentenpult. Aber zugleich ist er jener generellen Kritik entgegengetreten, die dem italienischen Musiktheater damals auch aus den eigenen Reihen scharf entgegenwehte, indem sogar dem Leuchtturm Puccini der Vorwurf der Anbiederung ans Publikum gemacht wurde (am deutlichsten in Fausto Torrefrancas Pamphlet von 1912). Respighi hat dieser Kritik indirekt widersprochen, indem er eigene Werke schrieb, für die die italienische Operntradition kein Ballast war, sondern ein Fundus für die eigene Inspiration. Zählt man halbszenische Nebenformen und Ballette mit, hat er deutlich mehr Bühnenwerke geschaffen als etwa Puccini. Insofern ist die Vorstellung von Respighi als einem reinen Sinfoniker mehr als fragwürdig. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sein Interesse an Vokalmusik überhaupt von Anfang an groß war. So entstanden neben geistlichen und weltlichen Kantaten zahlreiche Lieder, von denen einige fest im Repertoire verankert sind („Nebbie“, „Nevicata“), ferner vokale Kammermusik wie „Il tramonto“ (nach Shelley) für Stimme und Streichquartett sowie größere Werke für Gesang und Orchester („Arestusa“, „La sensitiva“); als Begleiter seiner Frau Elsa hat er während einer Tournee in Brasilien sogar selbst einige Lieder auf Schallplatte aufgenommen. Die Beschäftigung mit Gesang ist also eine Konstante in Respighis Schaffen – was er den Figuren seiner Opern angedeihen ließ, waren nicht die Gehversuche eines Instrumentalisten, sondern Früchte einer lebenslangen Auseinandersetzung mit der menschlichen Stimme.

 

Musikgeschichte als Kontinuum: Komponieren gegen den Bruch

Anders als sein Kollege Gian Francesco Malipiero, der die Notwendigkeit einer Reformation der Bühnenästhetik spürte und mit der ORFEIDE (1918–1922) ein illusionsdurchbrechendes Maskenspiel als zeitgemäße Lösung präsentierte, wollte Respighi keine einzige Wurzel der Musikgeschichte kappen. Diese bildete für ihn ein Kontinuum, aus dem man sich nach Belieben bedienen konnte, von der archaischen Gregorianik über die tänzerisch-leichtfüßige Renaissance und den opulenten Barock bis zum emotionalen Pathos von Verdi und der kruden Realitätsfixiertheit des Verismo: sei es als Arrangement (wie in den „Antiche danze ed arie“), sei es als stilistische Camouflage (Konzerte im alten Stil), sei es letztlich als Personalstil, der eine eklektizistische Vielfalt statt Einheit demonstriert. Eklektizismus galt jedoch zumeist als Manko, als Ausweis künstlerischer Abhängigkeit und damit Unreife, obschon bereits Respighis Kollege Alfredo Casella ein künstlerisches Prinzip daraus machte und im späteren 20. Jahrhundert Polystilistik einen Siegeszug erlebte. Was Respighi jedenfalls nicht ertragen konnte, war Ausgrenzung: Die Tiraden der Avantgarde gegen die Tradition waren ihm suspekt. Das erklärt letztlich, warum er Ende 1932 als Erster eine öffentliche Erklärung unterschrieb, die gegen die Verdammung der Musik des 19. Jahrhunderts opponierte und dabei aber zugleich, ohne Namen zu nennen, die Vertreter der Moderne diffamierte, die eben diese Distanz als notwendig erachteten. Die Unterschrift war kein politisches Kalkül: Respighi enthielt sich der Anbiederung an die Macht mehr als alle seine Kollegen, er trat nicht einmal in die faschistische Partei ein. Aber es war ein ästhetisches Credo, das andere, engstirnigere Köpfe eben doch als kulturpolitisches Kampfmittel einsetzten – und das, obschon Mussolinis Fascismo immer allen, teilweise sehr unterschiedlichen künstlerischen Tendenzen offenstand, ganz besonders auch der aggressiven futuristischen Traditionszertrümmerung. Respighi ist in dieser Hinsicht wohl ein Unikum: Er verleibte sich mit gargantuanischem Appetit von der mittelalterlichen Einstimmigkeit bis zu Debussy, Strauss und Strawinsky alles ein, was er nur kriegen konnte, und schuf daraus ein stilistisch sehr heterogenes Œuvre, das sich kaum mit einfachen Begriffen fassen lässt, da es eigentlich alles widerspiegelt, was musikgeschichtlich fassbar war. Diese ästhetische Grundhaltung ist einerseits in ihrem Ansatz sehr liberal, sie setzt der Tyrannei des künstlerischen Fortschrittsdenkens pluralistische Offenheit entgegen. Andererseits ist sie aber zweifellos auch Ausdruck einer stupenden Naivität. Tatsächlich muss man, um Respighis Werke wirklich zu schätzen, diese Ebene der Naivität, die so ganz in Kontrast steht zu den tendenziell elitären Narrativen der Moderne, zunächst einmal per se akzeptieren. Dann aber lässt sich feststellen, auf welch hohem Reflexionsniveau er durchaus doch zu komponieren imstande war, etwa in seiner monumentalen „Sinfonia drammatica“ von 1915 oder manchen Streichquartetten: Diese Werke gestatten eben kein „easy listening“, welches man mit dem Namen Respighi vorschnell verbinden möchte – vielleicht werden sie gerade deswegen so wenig gespielt.

 

Eine ganze Palette: Respighis Musiktheater

In gewisser Weise verhält es sich bei Respighis Bühnenwerken ähnlich. Auch diese lassen sich stilistisch nicht einfach einordnen, sie folgen keiner klaren Entwicklungslinie, sondern entfalten eine bunte Vielfalt stilistischer Möglichkeiten.

Nach dem operettenartigen Singspiel RE ENZO, das 1905 mit Bologneser Studierenden aufgeführt und in der Presse mehr als wohlwollend gewürdigt wurde (einige Stücke leben als Instrumentalminiaturen weiter), versuchte sich Respighi 1908 mit dem unter russischer Landbevölkerung spielenden Zweiakter AL MULINO ein einziges Mal am veristischen Modell samt sinfonischem Intermezzo, hier um slawische Farben bereichert (die Oper ist im Klavierauszug vollendet, aber nicht zu Ende orchestriert, daher damals nur privat konzertant aufgeführt worden). Mit SEMIRÂMA gelang Respighi 1910 dann ein wahrer Triumph. Diese in babylonischer Zeit spielende Oper, in der die Protagonistin mit ihrem Sohn eine inzestuöse Liebe verbindet, kann als direkter Vorläufer von LA FIAMMA angesehen werden, im Sujet ebenso wie im archaisch-exotischen Setting. Musikalisch zehrt SEMIRÂMA von der orchestralen Opulenz und Exotik der Strauss’schen SALOME, andererseits hat Respighi hier eine frühe Sinfonie von 1901 eingearbeitet, was zu dem außergewöhnlichen Umstand führt, dass der 1. Akt eine sonatenartige Struktur mit Exposition, Durchführung, Reprise und Coda aufweist. (Bei Puccini werden sich 1918 in SUOR ANGELICA ebenfalls Formprinzipien finden – mehrfach wiederkehrende Themenblöcke –, die genuin sinfonischer Natur sind, nicht opernhafter.) Während das Orchester also quantitativ und qualitativ (und letztlich eben auch strukturell) das Geschehen dominiert, bleiben die Singstimmen in SEMIRÂMA thematisch blass. Genau diesen Makel versuchte Respighi in seinen folgenden Opern zu überwinden – von der entfesselten Opernsinfonik zurück zum Gesang als Zentrum des Theaters. Zunächst war es eher die Verbindung von beidem: MARIE VICTOIRE, eine hochdramatische, mit couleur locale und couleur historique operierende französische Revolutionsoper nach dem Vorbild der Grand opéra, die 1914 beendet, aber erst 2004 in Rom uraufgeführt wurde. Dann folgte die Erfahrung einiger Ballett-Pastiches für Sergei Djagilews Ballets Russes: 1918 „La Boutique fantasque“ nach Rossini (noch vor Strawinskys „Pulcinella“), 1920 dann eine ganze Reihe ähnlicher Ballette als Bearbeitung älterer und jüngerer Musik. Für ein römisches Marionettentheater schrieb Respighi 1921 die kammermusikalische Dornröschen-Oper LA BELLA ADDORMENTATA NEL BOSCO, die durch ihre Collage-artige Vielfalt und karikierende Elemente das Genre selbst ironisiert – eine Art Sidestep auf der Suche nach der eigenen Bühnenästhetik. Mit der „Erzteufelei“ BELFAGOR (1923), einer fantastischen Komödie, in der sich der verkleidete Dämon in die Niederungen der menschlichen Liebe begibt (man denke an Rimskij-Korsakows NACHT VOR WEIHNACHTEN), lag der Akzent erstmals auf Humor – und der Erfolg an der Mailänder Scala sowie später in Hamburg und Rom war ein erheblicher (nicht etwa moderat, wie gelegentlich zu lesen). Mit Gerhart Hauptmanns „Versunkener Glocke“ als Vorlage folgte nochmals ein fantastisches bzw. Märchen-Sujet, LA CAMPANA SOMMERSA, in dem Naturmystik, Künstlertum und Liebesthematik eine Synthese eingehen, die bei der Hamburger Uraufführung 1927 und bald darauf in New York triumphal gefeiert wurde, obschon – oder gerade weil – nicht zu überhören ist, dass hier erneut das Orchester enorme Aufmerksamkeit bekommt: Kein Wunder, wenn es nicht nur tiefste Erschütterungen um Liebe, Trennung und Tod, sondern auch elfenhafte Fabelwesen und Glockenklang evozieren darf. In die gänzlich entgegengesetzte Richtung schwang das Pendel 1931 mit MARIA EGIZIACA, einem einaktigen „Mysterium“, das die büßende Maria von Ägypten nur mit äußerst entschlackten Klängen einkleidet, die stilistisch auf mittelalterliche und Renaissance-Musik rekurrieren; die Uraufführung fand 1932 in der New Yorker Carnegie Hall konzertant vor einem an Giotto angelehnten Triptychon des Bühnenbildners Nicola Benois statt.

Als Respighi sich ab 1931 an LA FIAMMA setzte, war er also nicht nur ein international gefeierter Autor von Orchestermusik, sondern ebenso ein selbst im Ausland begehrter und umjubelter Komponist von Bühnenwerken. Insgesamt hatte er bis dahin eine ungewöhnlich breite Palette von Ausdrucksformen, Modellen und Inhalten geschaffen, darunter Operette, Verismo, Exotismus, historische große Oper, Märchen, fantastische Komödie, Zauberoper und Legendenspiel.

Nicht alle waren wirkliche Erfolge, aber einige durchaus, wenige allerdings dauerhaft. Dass sie nach und nach wieder von den Spielplänen verschwanden und nach dem Zweiten Weltkrieg fast ganz im Schutt der Operngeschichte versanken, ist ein Schicksal, das sie mit den meisten anderen Werken dieses Zeitraums teilen, zumal mit denen ohne deutlichen Bruch mit spätromantischer Tonsprache. Aber genau solche Brüche durfte es für Respighi ja nicht geben.

LA FIAMMA war geradezu als Zement gedacht, der jede Idee von Bruch kitten sollte und zugleich jede Vorstellung von Experiment abzulehnen schien, obschon doch Respighi selbst immer wieder Lust am Experiment verspürt hatte, und sei es der Nachtigallengesang aus dem Grammophon in den „Pini di Roma“. Aber das kulturelle Klima der 1930er Jahre war ein anderes, nicht nur in Italien und gewiss nicht nur aufgrund einer gefühlten Erwartungshaltung gegenüber der Politik oder dem Publikum – überall standen die Zeichen auf Rückkehr zu Normen und Traditionen oder wenigstens zur Mäßigung, so auch etwa bei Hindemith, Copland oder (nolens volens) Schostakowitsch. Das eingangs erwähnte, von Respighi Ende 1932 mitunterzeichnete „Manifest italienischer Musiker für die Tradition der romantischen Kunst des 19. Jahrhundert“ hatte indessen schon eine spezifische Richtung vorgegeben, namentlich die Rehabilitierung italienischer Opernästhetik von Rossini bis Puccini. LA FIAMMA war Respighis klingendes Pendant dazu, eine Art praktischer Umsetzung der Forderungen – der Versuch einer Wiederinstandsetzung des Melodramma.

 

LA FIAMMA – das wiederauferstandene Melodramma

Claudio Guastalla, Respighi bereits seit gut einem Jahrzehnt als Librettist eng verbunden (und auch als Ghostwriter einiger Programme der sinfonischen Dichtungen), hatte dem Komponisten als Vorlage für eine neue Oper „Anna Pedersdotter“ vorgeschlagen, das erfolgreichste Theaterstück (1908) des norwegischen Schriftstellers Hans Wiers-Jenssen, dem eine historisch belegte Hexenverbrennung in Bergen 1590 zugrunde liegt. Respighi akzeptierte, bestand aber darauf, die Handlung in das byzantinische Ravenna des 7. Jahrhunderts zu verlegen, einerseits sicher, um eine Wiederholung des nordischen Kolorits in der „Versunkenen Glocke“ zu vermeiden, andererseits, weil ihn seit langem die Pracht faszinierte, die von dem Goldglanz der ravennatischen Mosaiken in ehrfurchtgebietend alter Sakralarchitektur ausgeht. Natürlich war es zugleich auch eine Verlagerung der Handlung aus dem Ausland in heimisches Territorium. Erneut hätte, wie in SEMIRÂMA, eine Musik entstehen können, die ganz auf orchestrale Überwältigung und koloristischen Effekt setzt. (Sein ebenfalls 1932 entstandenes abendfüllendes Ballett „Belkis, regina di Saba“ frönte genau solchem klanglichen Bombast in exotischem Dekor hemmungslos.) Aber genau das trat nicht ein. Respighi konzentrierte sich in LA FIAMMA wie nie zuvor auf das psychologische Durchdringen der Protagonisten und damit auf die subtile Modellierung ihrer Stimmpartien. Das Orchester ist von der Aufgabe, die psychischen und emotionalen Ebenen primär zu definieren oder zu illustrieren, weitgehend enthoben. Die Zeichnung der Figuren mit ihren sich wandelnden Gemütsverfassungen, besonders im Fall der Silvana, wird nun wesentlich von den Gesangspartien selbst getragen, das Orchester sekundiert nur. Gab es in MARIE VICTOIRE noch ein großes (und dramaturgisch bedeutsames) sinfonisches Zwischenspiel, so kommt das Orchester in LA FIAMMA überhaupt nur noch in wenigen kurzen Momenten zu eigenem Recht: Die Vorspiele zum 1. und 2. Akt sind winzig, dasjenige zum 3. Akt knapp, hinzu kommen kleinere Passagen schweigender Bühnenaktion. Diese orchestrale Fastenkur zeigt sich ebenso im sparsam kalkulierten Einsatz der Orchestermittel bei allen monologischen oder dialogischen Abschnitten. Stärker hervor tritt das Orchester in den Chorszenen, die hier ebenfalls erstmals bei Respighi eine herausragende Stellung einnehmen. Während zu Beginn des 1. Aktes die Mägde mit weitschweifenden Vokalisen für byzantinisches Kolorit sorgen, schreit am Aktende die Volksmenge in einer sich steigernden Mischung aus Lynchjustiz und religiöser Hysterie das Todesurteil für die verzweifelte Agnese di Cervia heraus (ähnlich wie wenige Jahre zuvor in Prokofjews FEURIGEM ENGEL); hier nun bläht sich das Orchester zu dramatischer Größe auf. Eine extreme Reduktion stellen dagegen die statisch repetierten „Lauten-Akkorde“ bei Silvanas Todesvision im 3. Akt („Dolce la morte“) dar, die Monteverdis COMBATTIMENTO DI TANCREDI E CLORINDA fast zitieren, natürlich nicht zufällig, sondern als bewusste Verankerung in der italienischen Musikgeschichte. Was das Orchester aber doch beisteuert, sind die zentralen thematischen Motive. Das wie ein roter Faden die ganze Oper durchziehende, punktiert aufspringende, düstere Schicksalsmotiv des Anfangs bekommt einen konkreten Sinn, als Agnese gegen Ende des 1. Aktes Silvana prophezeit, dass auch sie dasselbe Schicksal, als Hexe verurteilt zu werden, erwarte („E anche tu sarai domani come me…“). Noch konkreter auf Silvana bezogen ist die schleppend und dumpf herabsinkende Synkopen-Kette, die erstmals in der Anfangsszene des 1. Aktes erklingt, als Silvana sich in stummem Protest von den Belehrungen der Eudossia abwendet, und die als Ostinato die gesamte Beschwörungsszene am Schluss des 2. Aktes trägt. In ihrer rituellen Strenge und Statik erinnert dieses Motiv wohl nicht ganz zufällig an die „Rondes printanières“ aus Strawinskijs „Sacre du printemps“. Dass Respighi mit dem thematischen Material und „seinem“ Orchester dann, wenn es dramaturgisch geboten ist, virtuos und reflektiert zugleich umgehen kann, zeigt sich unter anderem bei der Szene, in der Basilio sterbend zusammenbricht. So ein Bühnentod ohne physische Einwirkung ist immer, auch bei altersschwachen Figuren, ein etwas gezwungenes Ereignis. Andererseits, die Situation ist für ihn alles andere als erquicklich: Silvana schüttet ihm ihre ganze angestaute Frustration über das lustlose Gefängnis ihrer Ehe mit einem alten Mann, das Eingesperrtsein zwischen den Mauern, die Vergeudung ihrer Jugend und die blinde Hörigkeit ihres Gatten gegenüber seiner boshaften Mutter aus, offenbart ihm dann, wie sehr sie seinen Tod wünscht, und schleudert ihm als Coup de grâce ins Gesicht, mit seinem Sohn Ehebruch begangen zu haben. Nicht einfach zu verkraften, gewiss – aber tödlich? Respighis Musik bricht an dieser Stelle in ein markerschütterndes Inferno schreiender Dissonanzen aus, das durch die Übereinanderschichtung der beiden Hauptmotive, schrill kreischende Streicherlinien und insgesamt mit einer martialischen Klangwucht über die Akteure hereinbricht. So wird Tod durch Entsetzen doch glaubhaft.

Guastalla gestand sich in seinen Aufzeichnungen ein, dass der thematische Nucleus von LA FIAMMA alles andere als neuartig war: „ein ewiges Motiv wie jenes der Phädra und der Parisina, bereits abgehandelt von Euripides, von Racine, von Byron, von D’Annunzio und hundert geringeren Anderen.“ Er meinte die verbotene Liebe zwischen Stiefmüttern und ihren Stiefsöhnen. Ildebrando Pizzetti und Pietro Mascagni hatten in den 1910er Jahren gleichnamige Opern mit Gabriele D’Annunzio als Textdichter lanciert. Respighi reiht sich stofflich ein, musikalisch aber geht er andere Wege – nämlich in gewisser Weise rückwärts.

LA FIAMMA ist das, was man eine Nummernoper nennen kann: Ihr Bauplan beruht auf der Idee von in sich geschlossenen Formteilen wie Rezitativ, Arie, Duett, konzertantes Ensemble, Chor. Natürlich ist das in der Partitur nicht direkt ablesbar, aber erkennbar ist zweifellos ein Schritt zurück hinter die von Verdi und ganz besonders von Puccini vollzogenen Bestrebungen, Akte als ein in sich großes Ganzes zu begreifen, deren Binnenform sich fließend aus den theatralischen Ereignissen ergibt, aus ihrer psychologischen Entwicklung. Diese allerdings ist in LA FIAMMA, ungeachtet aller Formkonzepte, ebenfalls von herausragender Intensität. Die Gestaltung der Schlussszene, des Prozesses gegen Silvana, kann dafür beispielhaft stehen: Sie schwankt zwischen innerer weiblicher Kraft (die in ihr lodernde, vieldeutig schillernde „Flamme“) und selbstbewusster Wehrhaftigkeit einerseits sowie emotionaler Abhängigkeit von Donello andererseits, der aber selbst hin- und hergerissen ist zwischen seinen Gefühlen für sie (indem er alle Schuld auf sich nehmen möchte) und seiner abergläubischen Angst, Silvana könne doch magische Kräfte auf ihn und mordend auf seinen Vater angewandt haben. Selbst die innere Einstellung der beiden Chorgruppen – die zuvor mit ihren hymnischen Gesängen ein großes Fresko klerikaler Pracht ausgebreitet haben – kippt von ehrlicher Empathie für die leidende und liebende Frau um in die kreischende Verfluchung als „Hexe“, mit der das Todesurteil und der Vorhang fallen.

Die Oper spricht nicht deutlich aus, ob die Ereignisse wirklich mit Magie zu tun haben oder nicht (auch dies wie bei Prokofjew). Die exzessive Gewalt der Kirchenseite nimmt sich in jedem Fall brutaler und furchterregender aus als alles, was Agnese oder Silvana je gezaubert haben könnten. Was Respighi aber deutlich aussprechen will, liegt auf einer anderen Ebene: Erstens, das italienische Melodramma ist in alter Pracht zurück; zweitens, die im 20. Jahrhundert unternommenen Neuformulierungen des Musiktheaters können zurückgenommen und dennoch ein überzeugendes Resultat erzielt werden; drittens, es ist möglich, von griechischer Hymnologie über Monteverdi bis zu Strawinsky und Strauss absolut alles miteinander zu amalgamieren, ohne dass der Eindruck von Stückwerk entsteht – alles ist gleichsam selbstverständlich und organisch miteinander verbunden, die Musikgeschichte ist in ihrer Gesamtheit lebendige Gegenwart. Das zumindest war, grosso modo, Respighis Ideal. (In seinem folgenden Einakter LUCREZIA, den er nicht mehr vollenden konnte, verfolgte Respighi indessen schon wieder andere Ziele.) Die Mehrheit der zeitgenössischen Rezensenten zollte jedenfalls Respighis restaurativem Experiment, als das man es ja auch bezeichnen könnte, tiefste Anerkennung, auch wenn man die zuweilen peinlich dick aufgetragene patriotische Schwellbrust und den politisch sich anbiedernden Konformismus mancher Kommentatoren gerne ausblenden möchte.

LA FIAMMA ist Respighis auch längerfristig erfolgreichste, vielleicht seine überzeugendste Oper geworden. Man kann sie heute als klingendes Manifest einer von ästhetischen Grabenkämpfen durchfurchten Zeit hören. Oder einfach als besonders ehrgeizigen Versuch, musikalische Traditionen durch Zusammenführung weiterzuführen, anstatt sich von ihnen zu distanzieren wie von einem innig geliebten Spielzeug, dem man sich entwachsen glaubt.

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