Eine Frau, die sich entzieht - Deutsche Oper Berlin
Eine Frau, die sich entzieht
Regisseur David Hermann ist ein Spezialist für Wiederentdeckungen. Er erzählt, wie er mit Korngolds VIOLANTA von 1916 ein Psychodrama über Anpassung und Freiheit inszeniert
Erich Wolfgang Korngold war ein Wunderkind. Seine Oper VIOLANTA komponierte er im Alter von nur siebzehn Jahren. Er erzählt darin von den Abgründen der Liebe und der Verstrickung von Gewalt, Lust und Schuld. Man denkt: »Ein so junger Mensch besitzt dafür gar nicht die nötige Lebenserfahrung«. Aber Korngold war ein begnadeter Geschichtenerzähler! Er interessierte sich für Menschen, für Schicksale, verstand sich auf Psychologie. Das unterschied ihn von vielen anderen Komponistinnen und Komponisten seiner Zeit, die abgeschottet von der Welt ihre Sinfonien und Klaviersonaten schrieben.
Gleichzeitig beherrschte Korngold virtuos das Orchester. Er verband Einflüsse von Strauss, Wagner, Puccini oder solche aus dem Impressionismus zu ganz eigenen Klangwelten – suggestiv, rauschhaft und sinnlich. Dank seines Talents reüssierte er in Hollywood als Filmkomponist und gewann zwei Oscars. Einige Musikwissenschaftler blicken deshalb abschätzig auf seine Opern, weil sie wie frühe Filmmusik klängen. Das finde ich bitter. Nicht zuletzt, weil Korngold den Weg in die USA nicht freiwillig wählte. Er wurde als Jude in den 1930er Jahren von den Nazis in die Emigration gezwungen, musste einen neuen Weg und ein neues Zuhause für sein musikalisches Genie suchen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte er, in Europa wieder Fuß zu fassen, ohne Erfolg. Umso schöner, dass seine Werke, inzwischen wiederentdeckt, nun endlich ihren verdienten Platz in der Musikgeschichte bekommen. Die Deutsche Oper Berlin hat daran ihren Anteil. Hier wurden schon DIE TOTE STADT und DAS WUNDER DER HELIANE zum großen Erfolg, auch beim Publikum.
Mit VIOLANTA setze ich das Korngold-Mosaik jetzt weiter zusammen. Im Zentrum der Aufführung steht die Psychologie der Hauptfigur. Die Venezianerin Violanta will während des Karnevals den Suizid ihrer Schwester rächen, die vom Prinzen Alfonso verführt wurde. Es kommt zur Konfrontation. Dabei muss Violanta sich allerdings eingestehen, dass sie Alfonso selbst begehrt. Korngold unternimmt in dem Einakter eine Reise in das Innenleben der Figur; diese Reise ist dramaturgisch und musikalisch eindrucksvoll angelegt. Der Bogen spannt sich von einem mysteriösen Anfang zu einem extrem klangintensiven Ende.
Zu Beginn des Stücks ist Violanta nach dem Tod ihrer Schwester verstummt. Erst allmählich öffnet sie sich. Sie beginnt zu realisieren, dass sie mit ihrem verschlossenen Ehemann nicht das richtige Leben führt und findet immer mehr zu sich selbst. Ich sehe darin die Geschichte einer Befreiung. Ein emanzipatorisches Motiv, trotz des tragischen Endes der Oper, das wir ganz anders deuten. Um das Schweigen der Violanta noch intensiver zu untersuchen, plane ich eine Erweiterung: Vor den Beginn des 75-minütigen Einakters setze ich eine zarte, intime Komposition von John Dowland sowie das Opus 6, Nr. 1 von Alban Berg. Dadurch entsteht ein Klangraum, in dem ich der Frage nachspüren will: »Wie reagieren wir auf eine Person, die sich entzieht?«
Das Seelenleben der Violanta übersetzen wir auch auf die bildliche Ebene. In unserem Bühnenbild wird eine gewaltige Spirale aus einer Schräge hervorbrechen – so wie aus dem Charakter der Violanta etwas hervorbricht, das sie vielleicht nicht wahrhaben wollte. Dieses Bühnenelement ermöglicht den Zugang zu verschiedenen Seelenräumen der Hauptfigur. Eine Anlehnung an die Türen in Bartóks HERZOG BLAUBARTS BURG, nur dass hier das Seelenleben einer Frau im Mittelpunkt stehen wird.
Ich möchte das Publikum zum Kern des Stückes führen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen von der Wucht dieses sehr komprimierten Psychodramas eingenommen werden. Es hilft, dass VIOLANTA eine Wiederentdeckung ist, kein vielgespieltes Stück, das nach neuen Lesarten verlangt, wie beispielsweise Mozarts Klassiker DON GIOVANNI, den ich kürzlich an der Bayerischen Staatsoper inszenieren durfte.
Im Falle von Korngold und VIOLANTA kommt das Publikum hoffentlich mit einer großen Erwartungsoffenheit. So kann das Momentum entstehen, in dem die Oper ihre volle Kraft und Emotionalität entfalten wird.