Sechs Fragen an ... Annette Dasch - Deutsche Oper Berlin
Sechs Fragen an ... Annette Dasch
Als Jenny in AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY singt Annette Dasch eine Frau, die sich verweigert – der Liebe, der Moral und den Erwartungen des Publikums
Jenny ist eine besondere Opernfigur. Was zeichnet sie aus?
Als ich sie zum ersten Mal sang, dachte ich nur: Endlich! Endlich eine Frau, die sich nicht opfert, nicht stirbt, nicht leidet. Jenny ist eine der wenigen selbstbestimmten Frauenfiguren auf der Opernbühne. Sie handelt aus sich heraus, sie bleibt sich treu, auch wenn das bedeutet, nicht zur Sympathieträgerin zu werden. Ich habe oft erlebt, dass das Publikum das kaum aushält, da gibt es ein Bedürfnis, dass sie sich irgendwie veredelt, dass sie irgendwen rettet, sich doch noch verliebt.
Warum ist das so schwer auszuhalten, eine weibliche Hauptfigur, die ihr Ding macht?
Weil wir es gewohnt sind, dass Frauen in der Oper entweder belohnt oder bestraft werden, meistens beides, am besten mit Tod und Tränen. Jenny entzieht sich dem komplett. Sie verkauft sich, ja, aber sie verkauft sich nicht emotional. Sie lässt sich nicht auf ein Spiel ein, das sie nicht kontrolliert. Das empfinden manche als kalt oder unsympathisch. Ich finde das befreiend. Sie ist keine Projektionsfläche für Moral, sondern eine Figur, die ihre Entscheidungen trifft.
Brecht und Weill haben MAHAGONNY als Lehrstück konzipiert. Ist das heute überhaupt noch relevant?
Mehr denn je! Diese Orte, an denen Menschlichkeit nichts zählt und nur noch konsumiert wird, die haben wir doch längst erschaffen. Das Internet ist voll von Suchtmechanismen, alles ist darauf ausgelegt, Menschen zu verführen und auszubeuten. Als Mutter versuche ich meine Kinder genau vor diesen Strukturen zu schützen. Und dann hört man sogar Staatschefs sagen: »Scheiß auf den Klimawandel, Hauptsache weiter konsumieren!« Eine unfassbare Verrohung. Es ist fast gruselig, wie sehr Brecht mit diesem Stück unsere Gegenwart trifft.
Wie singt man eine so gegenwärtige Figur?
Mit voller Stimme – und vollem Bewusstsein. Die Partitur ist groß, opulent, fett orchestriert, das ist keine Chanson-Sammlung mit gestopfter Trompete und Akkordeon. Aber man darf das trotzdem nicht wie eine BOHÈME singen, in die Opernpose verfallen. Wenn ich mit Opernstimme »Erst kommt das Fressen« schmettere, wird es lächerlich. Es geht beim Singen nicht nur um Technik, sondern darum, die Gedanken der Figur messerscharf und präzise zu denken. Bei Jenny ist das der Schlüssel: Wenn man ihre Gedanken klar denkt, singt man sie auch klar.
Die Inszenierung von Benedikt von Peter wird sehr interaktiv. Als Sängerin mitten im Publikum zu sein, wie finden Sie das?
Großartig! Ich wollte nie Opernsängerin werden, um auf der Bühne meine Kunststückchen zu machen, dafür Applaus zu bekommen und durch den Hinterausgang wieder abzuhauen. Ich habe unter dieser Trennung zwischen uns und dem Publikum richtig gelitten, wollte immer näher ran. Theater ist Interaktion, Begegnung, Kommunikation, und darum freue ich mich auf diese Inszenierung so sehr.
Sie haben Jenny mehrfach gesungen. Was hat sie Ihnen persönlich mitgegeben?
Sie hat mich angeregt, grundsätzlich über die Darstellung von Frauen auf der Bühne nachzudenken. Wie oft reproduzieren wir Bilder, die tief im patriarchalen Blick verankert sind: All die Elsas im weißen Nachthemd, die Carmens im Stufenrock und Wickelbluse oder, noch schlimmer, die Nuttenklischees. Jenny war die erste, bei der ich mich fragte, wie ich meinen Körper selbstbestimmt auf der Bühne zeigen kann, ohne zum Objekt zu werden. Seitdem sehe ich alle Rollen mit neuen Augen. Es geht darum, wie Sinnlichkeit erzählt wird – und wer über diese Erzählung bestimmt.