Sieben Fragen an ... Jennifer Larmore - Deutsche Oper Berlin
Sieben Fragen an ... Jennifer Larmore
Die Gräfin in Tschaikowskijs PIQUE DAME ist eine der tiefgründigsten Figuren der Opernwelt. Jennifer Larmore über ihr spätes Debüt
Sie debütieren als Gräfin in Turin und singen sie kurz darauf in der gleichen Produktion an der Deutschen Oper Berlin. Ein eher ungewöhnlicher Verlauf, oder?
Verrückt: Ich warte schon so lange, diese Rolle zu singen, dann kommen direkt zwei Gelegenheiten. In Berlin werde ich schon Bühnenbild, Kostüme, Regie kennen – und kann ganz entspannt sein. Normalerweise hat man bei einem Debüt neben der Vorfreude ja noch eine gehörige Portion Nervosität, aber das legt sich, je besser man die Rolle kennt. Es ist eine wunderbare Fügung.
Sie scheinen eine enge Verbindung zur Figur der Gräfin zu haben.
Sie spukt in meinem Kopf herum, seit ich 19 Jahre alt bin. Am Anfang meines Studiums sang ich auf einem Festival in Italien bei PIQUE DAME im Chor – und schaute die ganze Zeit nur auf die Gräfin. Ich war fasziniert von der emotionalen Wucht, die sie auf der Bühne erzeugte. Ich dachte: Werde ich das je selbst können?
Was hat Sie fasziniert?
Ihre psychologische Tiefe: Sie ist keine Karikatur des Alters, sondern eine Frau mit Geschichte, Sehnsucht, Würde – und Wunden. Sie lebt in ihrer Erinnerung, hadert mit der Gegenwart, ist enttäuscht von dem, was aus der Gesellschaft und vielleicht auch aus der Liebe geworden ist. Aber sie ist keine arme alte Frau, ganz im Gegenteil. In unserer Inszenierung haben wir sie jünger angelegt, lebendiger. Sie wartet jede Nacht im schwarzen Negligé auf einen Liebhaber, in Erinnerung an eine Zeit, in der sie bewundert und begehrt wurde. Und in dieser einen Nacht kommt er tatsächlich, nur ist es Hermann.
Die berühmte Schlafzimmer-Szene, in der die Gräfin Hermann die drei Karten verrät und schließlich stirbt. Wie gehen Sie diese Szene an?
Ich möchte sie komplex gestalten, nicht nur ihre Wut spielen. Ich glaube, die Gräfin weiß genau, was sie tut: Sie gibt Hermann, was er am meisten will – und sie spielt damit ihr eigenes, vielleicht sogar grausames Spiel. Gleichzeitig ist es ein tragischer Moment, denn sie wird endgültig von ihrer Vergangenheit eingeholt. Wenn ich auf der Bühne sterbe, soll es das Publikum emotional treffen. Da muss jede Geste, jeder Ton sitzen, man muss es schauspielerisch fast ein wenig übertreiben. Wie Norma Desmond in »Sunset Boulevard«, wenn sie die Treppe hinunterstolziert und in die Kamera spricht »Ich bin bereit für meine Nahaufnahme, Mr. DeMille.«
Gibt es etwas, das Sie bei der Vorbereitung dieser Rolle besonders berührt hat?
Ja, aber das hat gar nicht so sehr mit der Rolle an sich zu tun. Einige der jungen Sängerinnen und Sänger aus dem Chor kamen zu mir und sagten, sie würden meine Aufnahmen zum Erlernen ihrer Rollen hören. Das hat mich wirklich gerührt. Dass mich jüngere Kolleginnen heute noch kennen, meine CDs hören, das ist doch wunderbar.
Gibt es persönliche Parallelen?
Ich habe mein ganzes Leben große dramatische Frauenrollen gesungen, privat bin ich vollkommen anders. Mir fehlt jeder Hang zum Drama. Freunde sagen: »Du spielst so leidenschaftliche Frauen, dabei wirkst du so ausgeglichen.« Und ich denke: »Ja, genau deshalb«. Auf der Bühne darf ich all das ausleben, was ich im echten Leben nicht bin. Das ist das Wunderbare am Theater. Ich liebe Proben, ich liebe den psychologischen Prozess, sich eine Rolle anzueignen. In dieser Hinsicht bleibe ich eine ewige Schülerin.
Die Partie der Gräfin wird oft als späte, retrospektive Rolle für Mezzosoprane beschrieben. Fühlen Sie sich mit Ihrer eigenen Biografie konfrontiert?
Vielleicht ein bisschen. Ich merke schon, wie ich mittlerweile immer häufiger von »damals« erzähle (lacht). Da muss man ab einem gewissen Alter ein bisschen aufpassen. Aber wissen Sie was? Ich bin stolz auf meine fast 67 Jahre. Auf jede Falte. Ich habe sie mir redlich verdient – in 40 Jahren auf der Bühne. Ich bin noch immer zehn Monate im Jahr unterwegs. Und hey, ich bin noch nicht ausgebrannt, singe mit derselben Freude wie früher. Mehr kann man nicht wollen.