„La fiamma“ wirft drei Frauen in einen brutalen Konflikt voller Intrigen, Verrat und Denunziation - Deutsche Oper Berlin
Aus Libretto #1 plus (2024/25)
„La fiamma“ wirft drei Frauen in einen brutalen Konflikt voller Intrigen, Verrat und Denunziation
Und das bedeutet: Drei große Sängerinnen liefern sich einen musikalischen Schlagabtausch. Zwei Interpretinnen – Doris Soffel und Martina Serafin – erzählen, wie sie in ihre Rollen finden
Frau Soffel, LA FIAMMA steht quasi nie auf den Spielplänen, egal, wohin man schaut. Was bedeutet das für Sie?
Ich kann endlich wieder italienische Oper singen, für mich als Wagner- und Strauss-Interpretin ist das allein schon etwas Besonderes. Aber vor allem werden wir alle uns gemeinsam ein Werk erschließen, fast wie bei einer Uraufführung. Und genau wie bei einer Uraufführung wird eine Art Pionierstimmung entstehen. So etwas ist immer ganz toll und schafft eine besonders kreative Atmosphäre!
Respighi gilt als führender Vertreter der italienischen Instrumentalmusik. Aber ist Ihre Partie, die der Agnese, überhaupt italienisches Fach?
In der Tat sind in dieser Musik so viele Strömungen enthalten, dass man sie kaum mehr typisch italienisch nennen kann: Puccini, Verismo, aber auch Wagner – und dann hat man am Schluss des ersten Aktes auf einmal das Gefühl, man wäre mitten in einer Passion. Überhaupt: Der erste Akt ist in seiner ganzen Dramatik einfach ein Knaller. Und die Gesangspartien sind Ausdruck von hysterischen Seelenzuständen bis hin zu klassisch italienischem Schönklang.
Agnese wird des Kindsmordes beschuldigt und als Hexe verurteilt. Alles passiert sehr schnell. Wie schaffen Sie es, sich in diese tragische Figur hineinzuversetzen?
Wir werden mitten in die Handlung hineingeworfen und erfahren wenig von der Vorgeschichte. Meine ersten Worte in dieser Oper sind verzweifelt geflüstert: »Silvana! Rette mich!« So spricht man jemanden an, der einem sehr vertraut ist. Die Mutter Silvanas, auch als Hexe verdächtigt, war meine Freundin und das erklärt, warum ich bei der Tochter Schutz suche. Dieses tragische und düstere Geheimnis verbindet Silvana und mich. So finde ich in die Rolle.
Hexenprozesse gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Was können wir heute noch von Hexen lernen?
Hexen waren Outsiderinnen. Ich denke, sie hatten es nicht mit der Religion und waren auch auf andere Weise unangepasst, ließen sich daher nicht einordnen in die Gesellschaft. Natürlich gibt es diese Figuren noch immer, man nennt sie nur anders. Wie eine Gesellschaft mit ihren »Außenseitern« umgeht, sagt viel über sie aus. Und die Phänomene der Massenhysterie, des Mobs und des öffentlichen Prangers sind nicht mit der Moderne verschwunden. Denken Sie nur an Social Media!
Worin besteht die größte Herausforderung der Rolle?
Die Partie ist unglaublich intensiv, jeder Ton hat Bedeutung, ich muss die ganze Zeit voll da sein. Sängerisch und darstellerisch. Aber die eigentliche Herausforderung der Rolle besteht in der Ohnmacht der Figur. Ich liefere mich auf der Bühne einem gewaltbereiten Mob aus, spiele eine gejagte alte Frau, die dem Tod in den Flammen ins Auge blickt. Das mag jetzt etwas persönlich sein, aber Sie können sich vorstellen, dass mir das sehr unter die Haut geht.
Frau Serafin, was dachten Sie, als man Ihnen die Rolle der Eudossia angeboten hat?
Ich musste mir die Oper erst einmal im Internet anhören, aber nach einem Durchgang wusste ich: Die Rolle möchte ich unbedingt übernehmen! Musikalisch reizt mich, dass sie in einem Zwischenfach angesiedelt ist, etwas tiefer als ein Sopran, aber eben noch kein klassischer Mezzosopran. Eudossia singt viel in Mittellage und kann immer wieder auch mit wunderschöner Höhe glänzen – eine ganz eigene Mischung.
Inhaltlich glänzt Ihre Figur weniger, immerhin startet sie einen Hexenprozess gegen ihre eigene Schwiegertochter...
Das klingt vielleicht zynisch, aber sie hat ihre Gründe. Schließlich erwischt sie ihre Schwiegertochter in flagranti mit ihrem Enkel und kurze Zeit später muss sie mitansehen, wie ihr Sohn nach einem Streit mit seiner Frau tot zusammenbricht. Danach handelt Eudossia in erster Linie als Mutter, die den Tod ihres Sohnes aufklären und rächen möchte. Sie ist ein Kind ihrer Zeit und in der glaubte man an das Verbrechen der Hexerei, es gab offizielle Gerichtsverfahren mit Anhörungen und eigener Beweisführung.
Fällt es Ihnen leichter, wenn Sie in der bösen Schwiegermutter vor allem die liebende Mutter sehen?
Das ist meine erste, ganz private Lesart. Alles weitere möchte ich mir offenhalten für die Proben. Mit Regisseur Christof Loy habe ich im Dezember meine erste Ortrud im LOHENGRIN erarbeitet, nachdem ich 20 Jahre lang die Elsa gesungen hatte. Eine wunderbare Erfahrung, er hat mir sehr geholfen, in die Rolle hineinzuwachsen. Und so wird es auch mit Eudossia sein.
Was reizt uns heute noch so an der Figur der Hexe?
Sie ist ein Synonym für das Böse, das Verbotene, das Andersartige – und das übt seit jeher eine Faszination auf uns aus. Die Angst des Unerklärbaren, des Übernatürlichen und vielleicht auch die Vorstellung, wie es wäre, einmal selbst eine solche Macht auszuüben.
Interviews: Tilman Mühlenberg